Julius Sturm                           Der deutsche Geist

                                                               (Nach Fichte)

 

Kein leichter Sylphe ist der deutsche Geist,

Der über duft’gen Blüthen schaukelnd schwebt,

Von kühlem Thau und süßem Honig lebt,

Mit buntem Farbenschimmer prächtig gleißt;

 

Ein Adler, der sich auf vom Boden reißt,

Mit mächt’gem Flügelschlage sich erhebt,

Und unter dem die Luft erschrocken bebt,

Wenn er im stolzen Fluge sie durchkreist.

 

Nicht einen Blick gönnt er dem dunklen Land,

Sein Auge trinkt des Lichtes heil’ge Fluth

Und jeder Flügelschlag mehrt seinen Muth.

 

Durch Wolken geht die Bahn, die Erde schwand –

So eilt er aufwärts ohne Rast und Ruh’

Dem Sonnenball, dem ew’gen Lichte zu.

 

 

 

 

Julius Sturm                           Die wahre Freiheit                            

 

O hör’, mein Volk, nicht auf die Lugpropheten,

Laß nicht ihr Wort in deinem Herzen zünden,

Wenn sie des Fleisches Freiheit dir verkünden

Mit giftgenährten, schlangenklugen Reden.

 

Das Reich der Freiheit ist kein Reich der Sünden!

Es muß der Geist das trotz’ge Fleisch befehden

Und ihm als Sieger auf den Nacken treten,

Wenn er der Freiheit heilig Reich will gründen,

 

Freiheit des Fleisches ist ein sündig Grollen

Mit Allem, was die Lüste hält gefangen,

Ist frevelhaftes, trotz’ges gottverneinen.

 

Freiheit des Geistes ist thatkräft’ges Wollen,

Geführt von einem heiligen Verlangen

Zum kühnen Wettlauf nach dem Höchsten Einen.

 

 

 

 

Julius Sturm                           An die Mütter

 

Ihr Mütter, denen Gott es vorbehalten,

Zu bergen in der Liebe heil’gem Schooße

Den zarten Keim, aus dem der Zukunft Loose

Wie Blüthen aus den Knospen sich entfalten;

 

Wahrt eure Kleinen vor des Sturms Getose

Und laßt sie nicht im Frost der Welt erkalten,

Und hegt und pfleget sie mit treuem Walten,

Mit strenger Zucht und liebendem Gekose;

 

Und lehrt sie mit den Händen Gutes schaffen,

Und rüstet aus sie mit des Geistes Waffen,

Und macht sie stark, das Unrecht zu befehden;

 

Und lehrt ihr Herz zum ew’gen Vater beten,

Und weckt in ihm den edelsten der Triebe,

Zum deutschen Vaterland die deutsche Liebe.

 

 

 

 

Julius Sturm                           Im Mai

 

Der Frühling kam, es rauschten alle Bronnen,

Es ging ein Zittern durch der Erde Glieder,

In blauen Lüften tönen Lerchenlieder,

Und Augen hat das junge Reis gewonnen.

 

Die Kinderschaar, der Stubenhaft entronnen,

Jauchzt durch die Gassen auf und nieder,

Und vor der Thür am Hause ruhen wieder

Schneeweiße Häupter, um sich jung zu sonnen.

 

Wach’ auf, wach’ auf! wie lange willst du säumen,

Die flücht’gen, wonnevollen Frühlingstage

In dumpfen Leid vertrauern und verträumen?

 

„Wohl hab’ ich rings den Jubelruf vernommen,

Doch übertönt mein Herz ihn mit der Klage:

wann wird, mein Vaterland, dein Frühling kommen?“

 

 

 

 

Julius Sturm                           Das stille Heldenthum

 

Der ist ein Held und würdig hoher ehre,

wer mit dem blanken Schwert in kühner Hand

Sich mit dem Ruf: Für Gott und Vaterland!

Stürzt todesmuthig in der Feinde Heere.

 

Ein Heldnicht minder, wer mit freier Lehre,

Und wird er auch gesteinigt und verbannt,

Was er im geist für wahr und recht erkannt,

Vertheidigt mit des Wortes scharfem Speere.

 

Doch giebt es auch ein stilles Heldenthum,

Das krönt zwar seinen helden nicht mit Ruhm

Und stellt sein Bild nicht auf in goldnen Hallen;

 

Doch ist sein Held der edelste von allen,

Weil er aus Liebe für sein Vaterland

Den eignen stolzen Willen überwand.

 

 

 

Julius Sturm                           Am 18. September 1848

 

Wenn sonst mein Blick auf jenen Blättern ruhe,

Den blutgetränktesten aus Frankreichs Tagen,

Wo sich berauscht bei scheußlichen Gelagen

Entmenschtes Volk in seiner Brüder Blute;

 

Wo’s eine Ehre war, dem rothen Hute

der Freiheit blut’ge Köpfe vorzutragen,

Und ein Verbrechen war, den zu beklagen,

Deß Leichnam zuckend auf dem Boden ruhte:

 

Da hab’ ich oft die Hand zu dir erhoben,

Mein Gott, um dich zu preisen und zu loben,

Daß nie mein Volk noch diesem Volk geglichen;

 

Der Pharisäer-Hochmuth ist gewichen,

Auf meinen Knieen liegend zu dir bet’ ich

Mit schwerem Herzen: Sei uns Sündern gnädig!

 

 

 

 

Julius Sturm                           Napoleon

 

„Unmöglich“ stand nicht in dem Wörterbuch

Des großen Kaisers, der mit starker Hand

Ein kühner Held die halbe Welt umspannt

Und sie in seines Willens Ketten schlug.

 

Die Völker häuften auf ihn Fluch auf Fluch,

Doch der Gewalt’ge kam mit Schwert und Brand,

Sie beugten sich, es half kein Widerstand,

Bis er am stolzesten den Nacken trug.

 

Da sprach der Herr: „Mein ist der Rache Tag!“

Und traf den Uebermüthgen Schlag auf Schlag,

Des Todes Beute dreimal ward sein heer.

 

Und er, für den es kein Unmöglich gab?

Ihm blieb von allen Reichen nur ein Grab,

Dort auf Sankt Helena, umwogt vom Meer.

 

 

 

 

Julius Sturm                           Moltke

1816 - 1896

Der Kaiser, der ein Hort dem deutschen Lande,

Dem Statsmann, dem sich keiner kann vergleichen,

Wer nahte beiden, um die Hand zu reichen

Zu innigem, segensvollem Treuverbande?

 

Der Feldherr war es, unter günstigen Zeichen

Für uns geboren, unserm Volk zum Pfande,

Daß Gott sein Angesicht nicht von uns wandte

Und Deutschlands heller Stern nicht sollt erbleichen.

 

Der große Held, der stillste, tiefste Denker,

Der Schweiger, dem die Pläne all gelungen,

Die, eh der Kampf begann, den Kampf entschieden.

 

Des Heeres Seele wars, der Schlachtenlenker,

Durch den wir dankend Sieg auf Sieg errungen

Und als der Siege Preis – ersehnten Frieden.

 

 

 

 

Julius Sturm                           Kana

1816 - 1896

In Kana bei dem frohen Hochzeitsfeste

Bist du, mein Heiland, freundlich eingekehrt

Und hast den Strom der Freude nicht gewehrt,

Und warest fröhlich mit der Schar der Gäste.

 

Und als verschenkt des Weines letzte Reste

Und alle Krüge bis zum Grund geleert,

Hast du mitfreudig neuen Wein beschert,

Von dem der Ordner sprach: das sei der beste.

 

Drum laß ich mir das Leben nicht verbittern

Durch jene Thoren, die nur Sünde wittern

In allem, was erhellt der Freude Schein.

 

Wie ich mit dir, mein Meister, im Vereine

Mit denen, die da traurig sind, still weine,

Will ich mit dir mit Frohen fröhlich sein.